Der Hl. Geist in der Gemeinschaft der Kirche

Lieber Bernd,

als ich von der Begegnung mit dem Hl. Geist in der Gemeinschaft der Kirche schrieb, sah ich schon im Geiste, wie Du die Stirn runzeltest und dachtest: Das darf doch nicht wahr sein! Ich kann im Anblick des gegenwärtigen Zustandes der Kirche beim besten Willen kein Wirken des Heiligen Geistes erkennen!

Nun, man muss zunächst einmal ganz nüchtern feststellen: Die katholische Kirche in Deutschland ist z.Zt. tatsächlich in keiner guten Verfassung. (In anderen Weltgegenden ist das übrigens ganz anders.) Der Kirchenbesuch geht zurück, die Priester- und Ordensberufungen gehen zurück, und Skandale vom Vatikan bis zur Ortskirche haben zu einer Welle von Kirchenaustritten geführt, die scheinbar nicht zu stoppen ist. Berechtigte Kirchenkritik tendiert nicht selten zu offener Feindschaft. Die Schere zwischen den Wertvorstellungen der Kirche und der Gesellschaft geht immer weiter auseinander. Statt stolz zu sein auf ihren Glauben wie die Muslime sind viele Christen verunsichert und wagen in der Öffentlichkeit kaum noch, den Mund aufzumachen. In Talkshows scheint die katholische Kirche der Prügelknabe der Nation zu sein. Und in dieser Kirche soll uns das Wirken des Hl. Geistes begegnen?

Ja, ich bleibe dabei und möchte das mit zwei Argumenten begründen. Eines muss ich dabei vorausschicken: Ich verstehe Gemeinschaft der Kirche zeitenübergreifend. Zur Kirche gehören nämlich nicht nur die heute Lebenden, sondern auch alle Menschen, die in der Vergangenheit zur Gemeinschaft der Kirche gehörten.

Wellenbewegung

Man kann darüber streiten, ob die gegenwärtige Entfremdung von Kirche und Glauben radikaler ist als je zuvor in der Kirchengeschichte. Ich glaube, dass erst spätere Zeiten diese Frage entscheiden können, lassen wir sie deshalb unbeantwortet.

Sicher aber ist Folgendes:

Zeiten des Abfalls und der Glaubenslosigkeit hat es immer gegeben, aber ebenso auch Zeiten der Reform und des Aufbruchs. Ich nenne nur einige Beispiele:

  • Im 6. Jahrhundert nach Christus floh ein junger Student aus Rom in eine Einsiedelei in den Bergen. Es war der heilige Benedikt. Ihm schlossen sich junge Christen an, die es mit dem Glaubensleben genauso ernst nahmen wie er. Der Orden, der damals seinen Anfang nahm und dem sich bald ein weiblicher Zweig anschloss, revolutionierte Europa und war in der Völkerwanderungszeit der Hort der Kultur. Es gibt auch heute eine lebendige benediktinische Ordensfamilie trotz immer neuer Verweltlichung in der Vergangenheit. Denn der Orden hatte immer wieder die Kraft, sich zu reformieren. Manche Reformzweige sind zu neuen Orden geworden, so z.B. die Zisterzienser(innen) und Trappist(inn)en.
  • Der heilige Benedikt lebte an der Schwelle der Spätantike zum Frühmittelalter. Wiederum zu einer Zeit des Umbruchs - Aufstieg des Bürgertums im 13. Jahrhundert - trat der heilige Franziskus auf. Er lebte das Evangelium in äußerster Konsequenz. Was die Menschen besonders beeindruckte, war die selbstgewählte Armut und der christliche Pazifismus des Heiligen in der Zeit der Kreuzzüge. Der Orden, den er gründete, verbreitete sich explosionsartig über ganz Europa und erneuerte den Klerus und die Kirche.
  • Zur selben Zeit stemmte sich in Thüringen eine junge Gräfin gegen das ausschweifende Leben der Adligen auf der Wartburg, das auf Kosten der Leibeigenen ging. Schließlich verließ sie die Burg und gründete in Marburg ein Krankenhaus, das erste Krankenhaus der Geschichte, das von einer Frau geleitet wurde. Obwohl sie nur 24 Jahre alt wurde, wird sie bis heute verehrt. Zahllose Krankenhäuser tragen ihren Namen. Bis heute sehen zahllose Menschen in ganz Europa in ihr das Vorbild einer christlichen caritas. Mehrere karitative Orden entstanden aus dem Eindruck ihrer Spiritualität.
  • Der heilige Vincenz von Paul lebte im 17. Jahrhundert in Frankreich zu einer Zeit, als große Teile des französischen Klerus erschreckend verweltlicht waren. Der höhere Klerus strebte nach möglichst viel Macht, und der untere interessierte sich in erster Linie für wirtschaftliche Sicherheit durch eine möglichst einträgliche Pfarrstelle. Die theologischen Kenntnisse waren blamabel: Viele Priester auf dem Lande beherrschten nicht einmal die Lossprechungsformel in der Beichte. Der Heilige revolutionierte die französische Kirche. Er verbesserte die Priesterausbildung und gründete zahlreiche soziale Werke sowie den Orden der Vincentinerinnen als Antwort auf die vielfachen sozialen Nöte des einfachen Volkes.
  • Im 19. Jahrhundert sah es dann in vielen Landgemeinden Frankreichs erneut nicht viel besser aus als zu den Zeiten des hl. Vincenz von Paul. Damals wurde der junge Pfarrer Jean-Marie Vianney in ein Dorf bei Lyon versetzt, das geistlich gesehen einer Wüste glich. Mit seinem heiligmäßigen Leben beeindruckte er die Dorfbewohner so sehr, dass schließlich unzählige Menschen von nah und fern nach Ars kamen, um bei ihm zu beichten und sich zu bekehren. 1925 wurde er heiliggesprochen. Seitdem heißt er nur noch „der Pfarrer von Ars“.
  • Du schreibst, dass Du Dich als Jugendlicher im Sonntagsgottesdienst ziemlich allein fühlst, Stichwort: nur alte Omas. Abgesehen davon, dass das doch etwas übertrieben ist - in unsere Gottesdienste kommen jedenfalls zahlreiche Familien - möchte ich sagen: Verachte mir die alten Frauen nicht! Für Dich ist es schon Geschichte, aber ich habe es live miterlebt, wie vor gar nicht langer Zeit erstmals in der Geschichte der groß angelegte Versuch gemacht wurde, den Glauben systematisch auszurotten. Ich meine damit die militant atheistischen Machthaber der Sowjetunion.
    Nach der marxistisch-leninistischen Ideologie waren alle Gläubigen Parasiten der Gesellschaft. Sie wurden in Psycho-Kliniken zwangs-eingewiesen und mit Psychopharmaka kaputt gemacht. Unter Chruschtschow wurden Schlägerbanden gebildet, welche heimlich zum Hausgebet versammelte Christen brutal zusammenschlugen. In den 70 Jahren von 1917 bis 1989 wurden Tausende von Kirchen zerstört oder in Tanzsäle, Kinosäle oder Clubhäuser verwandelt. Ich füge mal eine Kurzgeschichte von Alexander Solschenizyn bei, sie schildert das eindrucksvoll.
    Und was geschah nach der Wende? Der Glaube in Russland erblühte von neuem. Es war wie bei einer Blumenwiese, die radikal gemäht wurde und nach zwei Wochen wieder übersät ist mit Gänseblümchen.
    Wer aber hat das Verdienst, dass der Glaube in Russland nicht unterging, sondern wie Glut unter der Asche fortlebte? Das waren nicht die Kirchenführer, die hatten sich mit dem Regime arrangiert und ließen es zu, dass die Opfergroschen der einfachen Gläubigen beim Staat abgeliefert und für die Rüstung verwendet wurden.
    Nein, es waren die Babuschkas, die „alten Omas“. Sie haben sich vor die Bulldozer geworfen, wenn sie anrückten, um die Kirchen zu zerstören. Einige wenige Kirchen blieben aus Rücksicht auf das Ausland geöffnet, aber es war Jugendlichen unter 18 Jahren streng verboten, eine Kirche zu betreten. Religion galt als extrem jugendgefährdend.
    Heute gehen in Russland Millionen in die Kirche und die Klöster blühen. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich aus reinem Opportunismus als Gläubige ausgeben, aber Trittbrettfahrer gibt es überall.

Und was ist das Ergebnis unseres zugegebenermaßen sehr grobmaschigen Gangs durch die Kirchengeschichte?

  1. Vom Beginn der Kirche an ist die Geschichte des Glaubens ein ständiges Auf und Ab.
  2. Reformen und Korrekturen erfolgten immer wieder durch einzelne Menschen, die große Bewegungen auslösten. Die katholische Kirche nennt sie Heilige. Und was sind Heilige? Nicht moralisch vollkommene Superstars, sondern Menschen, die vom Heiligen Geist inspiriert waren und Antwort gaben auf die Nöte ihrer Zeit, jede und jeder in schöpferischer Weise, immer aber in der Nachahmung Jesu.
  3. Was unserer Kirche in Deutschland z.Zt. fehlt, sind offenbar Heilige. Wie wäre es mit Dir?

 

Herzliche Grüße

Dein Onkel Peter

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