Der eine kann dies, der andere das. Wieso nennt man das "Charismen"?

Lieber Bernd,

Dein Trost hinsichtlich meiner Skrupel tut mir gut. Du möchtest also meine Meinung zu den Charismen wissen. Ich fürchte allerdings, dass ich Dir dazu tatsächlich nicht viel Neues sagen kann, denn Ihr habt das Thema im Firmunterricht bestimmt schon gründlich diskutiert.

Deshalb möchte ich mich hier auf zwei Gesichtspunkte beschränken, die mir besonders wichtig sind.

  1. Charismen sind Gaben Gottes, die nicht eigentlich erst durch die Firmung verliehen werden, sie sind von Geburt an da. Denn es sind ja schlicht die Anlagen und Begabungen, die der Schöpfer dem Menschen mitgegeben hat: Der eine ist musikalisch, der andere ein Mathe-As (pardon!), der dritte kann gut reden und argumentieren.
    Zu Charismen werden die Begabungen in dem Augenblick, wo man begreift, dass diese Gaben nicht selbstverständlich sind, sondern Geschenke des Schöpfers; wo man also die rein natürliche Ebene übersteigt und die Gegebenheiten aus dem Glauben deutet. Und diese neue Sicht eröffnet sich hoffentlich in der Firmung.
    Wenn einer z.B. gut Klavier spielen kann, vielleicht so gut, dass er bei "Jugend musiziert" Preise bekommt, dann kann er sich im Glanz seiner Begabung sonnen und bei Schulkonzerten eine große Show abziehen. In dem Augenblick aber, wo er begriffen hat, dass seine Begabung ein Geschenk des Schöpfers ist, wird er bescheidener werden.
  2. Charismen erhalten wir nicht für uns allein, sondern für die Gemeinschaft. Denn der Schöpfer, der sie uns verliehen hat, ist der dreifaltige Gott, in dem die Gemeinschaft der Liebe verankert ist. Deshalb sind die Gaben, die er schenkt, notwendigerweise Gaben für den Dienst an der Gemeinschaft.
    Unser Pianist wird also seine Kunst nicht nur in Konzerten vorstellen, sondern mit seiner Kunst vielleicht den Bewohnern eines Altenheims Freude bereiten oder im Schulgottesdienst die Orgel spielen.
    Ein guter Redner und Argumentierer wird seine Begabung nicht nur nutzen, um eine gute Note im Mündlichen zu bekommen, sondern, wenn es notwendig ist, beredt den Glauben zu verteidigen.
    Und vielleicht hat er ja zusätzlich auch noch eine gute Stimme. Dann wird er im Jugendchor seiner Pfarre mitmachen.

So, das waren sie schon, meine beiden bescheidenen Gedanken.

Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auf eine Bemerkung zurückkommen, die Du vor einiger Zeit gemacht hast, nämlich dass Du partout kein Heiliger werden möchtest.

Ich habe das ja auch im Unterricht immer wieder erlebt und frage mich, warum diese Vorstellung so abschreckend ist.

Da hat man sich nun redlich bemüht, große Frauen und Männer der Kirchengeschichte vorzustellen, deren Lebenswerk deutlich macht, wie die Gnade Gottes wirkt, und dann dieses Ergebnis! Aber wahrscheinlich ist gerade die Unerreichbarkeit dieser großen Gestalten der Kirchengeschichte einer der Gründe.

Allein kann es das aber auch nicht sein. Irgendwie riecht "Heiligsein" nach Frömmelei, und das ist nun verständlicherweise das Letzte, das man sich vorwerfen lassen will.

Machen wir es kurz, ich möchte Dich etwas schockieren (ob ich das wohl schaffe, du cooler Typ??). Du hast doch vor, Dich firmen zu lassen, oder? Die Firmung hat aber genau diesen Zweck, Euch zu Heiligen zu machen. Nun lies bitte trotzdem weiter!

Zunächst einmal kann ich Dir versichern, dass Du Dich da in guter Gesellschaft befindest. Du kennst doch das Fest "Allerheiligen". An diesem Fest feiern wir das Gedächtnis aller kanonisierten und nicht kanonisierten Heiligen, d.h. aller, die das Ziel erreicht haben: die Anschauung Gottes. Ich gehe mal davon aus, dass Du gegen dieses Ziel nichts einzuwenden hast, auch wenn einem der Gedanke daran in Deinem Alter denkbar fern liegt.

Was sind denn Heilige? Menschen mit Fehlern und Macken, die aber unter den Bedingungen ihrer Zeit in kreativer Weise versucht haben, Christ zu sein. Die einen hat das zum Martyrium geführt, die anderen zu flammenden Verkündern, wieder andere zu aufopferndem Einsatz für die Menschen. Die einen haben das in einem Orden getan, die anderen in der "Welt". Ich frage mich z.B., wie viel verborgenes Engagement Frauen leisten, die Angehörige jahrelang und bis zum Tod pflegen. Früher hätte man von Heldentum gesprochen, aber leider haben die Nazis diesen Begriff diskreditiert. Wobei der Begriff allerdings nie wirklich passend war, weil er eine rein menschliche Leistung suggeriert und die Gnade Gottes außer Acht lässt.

(In Klammern: Die Fähigkeit, Alte und Kranke zu pflegen, ist auch ein Charisma, und zwar ein ganz großartiges!)

Die Verehrung von Heiligen ist allerdings ein katholisches (und orthodoxes) Spezifikum. Die evangelische Theologie findet es problematisch, dass das katholische Lehramt zu entscheiden wagt, wer in Christus vollendet ist. Aber ist es nicht ein Segen, dass auf diese Weise das Glaubenszeugnis einer gewaltigen Zahl von Christen erhalten geblieben ist? Die in der Volksfrömmigkeit verankerte Heiligenverehrung liegt heutigen deutschen Jugendlichen sicher ganz fern, aber die Lateinamerikaner, und mit ihnen Papst Franziskus, immerhin ein hochgebildeter Jesuit, haben da einen ganz anderen, natürlichen Zugang. Die katholische Kirche ist eben Weltkirche, wir Deutsche sind nur ein winziger Bestandteil dieser Weltgemeinschaft!

Heilig sein heißt also ganz schlicht: Christ sein. Allerdings: Richtig Christ sein. Und was heißt "richtig"? Richtig heißt "entschieden". Das ist genau der Sinn der Firmung. Sie stellt uns doch vor die Frage: Willst Du die Gemeinschaft mit Jesus Christus, die in der Taufe begonnen hat, fortsetzen und vertiefen? Willst Du seiner Kirche als aktives Glied angehören?

Wieder so eine Formulierung, die leicht zur Leerformel wird: "die Gemeinschaft mit Christus, die in der Taufe begonnen hat". Ich höre Dich schon sagen: Davon habe ich bisher nicht viel gemerkt!

Tja, ich frage mich, welche Rolle die Taufe eigentlich im Leben praktizierender Christen spielt. Dabei sollte jedes Kreuzzeichen mit Weihwasser beim Eintritt in die Kirche eine kleine Tauferneuerung sein!

Ein Grund für das mangelnde Taufbewusstsein ist sicher die Säuglingstaufe. Ich kenne Jugendliche der Baptistengemeinde, die sich mit 18 haben taufen lassen, nachdem sie eine wohlüberlegte Entscheidung getroffen hatten. Das bleibt im Bewusstsein.

Aber noch einmal zur Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus, von der viele angeblich so gar nichts merken. Ich möchte einen Vergleich gebrauchen mit der üblichen Vorrede, Du kennst das schon. Aber es ist dennoch wichtig, sich immer wieder klar zu machen, dass Vergleiche nur einen Aspekt der komplexen Wirklichkeit erfassen können.

Also, ich möchte die Taufe mit einem Sparvertrag vergleichen, den die Großeltern bei der Geburt ihres Enkels abgeschlossen haben. Der Enkel weiß zunächst gar nichts davon, dennoch liegt da ein Schatz für ihn bereit. Eines Tages erfährt er, dass er mit 18 über, sagen wir, rund 5000 € verfügen kann.

Was wird er nun tun? Wahrscheinlich überlegt er sich doch schon einmal, was er damit anfangen wird: Führerschein? Weltreise? Auch wenn die Pläne sich sicher im Lauf der Zeit verändern, er wird sich mit dem Guthaben beschäftigen. Und er wäre wohl ein merkwürdiger Vertreter, wenn ihn das Konto überhaupt nicht interessieren und er das Geld nie verwenden würde.

Bezogen auf die Taufe heißt das: Was machen wir mit dem Schatz der Taufgnade? Wie gestalten wir unser geistliches Leben? Und damit kommen wir an den Punkt, wo das Gleichnis versagt: Wir haben es ja nicht mit einem Geldbetrag, also einer Sache, zu tun, sondern mit dem Auferstandenen, einer Person, einem Du. Der Auferstandene möchte uns nahe sein, Gemeinschaft mit uns haben. Und wie können wir diese Gemeinschaft leben? Es gibt mehrere Wege: im aufmerksamen Lesen der Hl. Schrift, im Empfang der Eucharistie, im Gebet, im Austausch mit anderen gläubigen Jugendlichen, z.B. bei religiösen Treffen wie Katholikentagen, Weltjugendtagen oder Eucharistischen Kongressen.

Feierst Du eigentlich Halloween? Viele wissen nicht, dass der Name von hallows = Heilige kommt und den Vorabend des Allerheiligenfestes bezeichnet. Trotz dieses Namens ist Halloween aber ein heidnische Fest und stammt aus der keltischen Zeit Irlands.

Für mich ist Halloween ein hoch interessantes Gegenstück zum christlichen Denken, wenn man einmal von dem Spektakel absieht, der aus dem ursprünglichen Fest geworden ist. Denn der Ursprung des Festes war ja der absolut hilflose Versuch, die bösen Geister zu vertreiben. Eine Missionsschwester, die lange Jahre in Afrika tätig war, erzählte mir, welche Belastung der Geisterglaube in der Realität bedeutet.

Da gab es einen großen, alleinstehenden Baum in der Nähe des Dorfes, auf dem sich nach dem Glauben der Dorfbewohner mit Einbruch der Dämmerung die bösen Geister versammelten. Keiner hätte es gewagt, nach Einbruch der Dämmerung unter oder auch nur neben diesem Baum herzugehen, er hätte sich auch gleich umbringen können. Aber die bösen Geister nisteten sich da nicht nur ein, sondern lauerten auf die Möglichkeit, in das Dorf einzudringen und den Menschen zu schaden.

Mit Schaudern erinnerte sie sich an einen gewaltigen Fehler, den sie als unerfahrene junge Schwester gemacht hatte. Sie war nach Einbruch der Dämmerung anlässlich eines Hausbesuchs in eine Hütte eingetreten, und wie man das in Deutschland so tut, fragte sie die Eltern nach dem Namen des putzigen vierjährigen Mädchens, das da in der Ecke mit einem Stückchen Holz spielte. Die Eltern erstarrten. Einerseits gebot es die Höflichkeit, auf die Frage zu antworten, andererseits lieferten sie damit ihr Kind einem qualvollen Tod aus. Glücklicherweise schaltete die Schwester. Sie bemerkte die Bestürzung der Eltern und sagte: "Habe ich etwas Falsches gesagt?" Da fasste sich der Vater ein Herz und erklärte ihr die Situation.

So ist das also mit dem Geisterglauben. Er ist eine wahnsinnige Belastung und hält die Menschen in ständiger Angst. Wie viele Jahrhunderte hat es gedauert, bis die befreiende Botschaft Jesu Christi in die Köpfe der Kelten und Germanen gelangt war! Welche Hoffnung und Freude strömt die Botschaft des Evangeliums aus: Christus ist auferstanden, er hat Tod und Satan besiegt, und er möchte Dich in allen Lebenslagen begleiten!

Denn sein Verlangen, Gemeinschaft mit uns zu haben, übertrifft ja bei weitem unser Verlangen, mit ihm Gemeinschaft zu haben. Aber das letztere lässt sich ändern, und dafür ist die Firmung da!

 

Herzliche Grüße

Dein Onkel Peter

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