Topmodels und Nationalspieler

Lieber Bernd,

da bin ich aber ganz anderer Meinung: Das Thema hat sehr viel mit der Firmung zu tun! Vorbilder - das bedeutet: So möchte ich werden. Und das ist eine Entscheidung, die ein ganzes Leben bestimmen kann. Und es ist wahrhaftig nicht gleichgültig, in welchem Geist man diese Entscheidung trifft. Denn sie kann ein Leben gelingen lassen, sie kann es aber auch zerstören.

Ist es nicht erschreckend, wie viele junge Männer sich heute für den menschenverachtenden Nationalsozialismus begeistern oder für den Dschihadismus - sie zerstören sich selbst und andere. Das ist sicher keine Wirkung des Hl. Geistes, auch wenn sie religiös verbrämt wird. Und sie führt dazu, das friedliche Muslime in Sippenhaft genommen werden. Kürzlich sagte mir eine junge Muslima, die in Düsseldorf Medizin studiert: Ich bin es so Leid, mich und meine Religion immer wieder verteidigen zu müssen! Warum schaut man mich so misstrauisch an? Was habe ich mit diesen Kriminellen zu tun?

Oder, um ein Beispiel zu nehmen, das ganz normale Jugendliche betrifft: Welche Probleme können daraus erwachsen, wenn ein Mädchen in fanatischer Weise dem Traum eines Topmodels anhängt!

Sehr eindrucksvoll schildert das die Jugendbuchautorin Renate Günzel-Horatz in ihrem Buch  Das sind doch alles Drückeberger (Patmos 1988)

Zugegeben, die dort beschriebene Art der Anwerbung von Models ist längst veraltet - heute gibt es ja per Internet  ganz andere Möglichkeiten. Trotzdem erscheint mir das dort Beschriebene von grundsätzlichem Wert zu sein. Wenn Du möchtest, kann ich Dir das Buch mal leihen.

Aber gehen wir etwas systematischer vor.

Vorbilder sind so unterschiedlich wie die Interessen der Menschen.

Ist für Dich als Fußballer z.B. Ronaldo ein Vorbild? Kürzlich hörte ich, er sei imstande, einen Ball ins Tor zu lenken, von dem er nur den Abstoß gesehen hat. Offenbar vermag sein Gehirn die Flugbahn vorauszuberechnen.

Manche Jugendliche möchten zum Film bzw. Fernsehen. Ich erinnere mich noch an die bewundernden Blicke, die einem Schüler unserer Schule zuteil wurden, weil er bei einer TV-Serie mitmachen durfte.

Wer ein Instrument spielt, bewundert vielleicht eine bestimmte Band bzw. einen Solisten der Weltklasse.

Aber es könnte ja auch eine Lehrerin oder ein Lehrer sein, die/den man für vorbildlich hält.

Gleich wie die Interessenlage ist, man sollte sich bewusst machen, was man eigentlich an seinem Vorbild bewundert: Schönheit? Schlankheit? Attraktivität? Karriere? Reichtum? Können? Bildung? Unbestechlichkeit? Mut?

Wenn man nun auf das Evangelium schaut, sieht man, dass Jesus Christus seine ganz eigene Wertetabelle hat. Sie stimmt z.T. mit dem überein, was wir für erstrebenswert halten, widerspricht unseren Vorstellungen aber z.T. auch diametral.

Du kennst ja die Seligpreisungen der Bergpredigt, das Herzstück der Lehre Jesu (Mt 5,3ff). Der frühere Aachener Bischof Hemmerle hat einmal in einer Predigt den Seligpreisungen die uns vertrauten Vorstellungen gegenübergestellt. Ich gebe sie hier etwas abgewandelt wieder:

Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig, die gut verdienen , denn sie können sich alles leisten.
Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Selig, die ein dickes Fell haben, denn an ihnen prallt alles ab.
Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben. Selig, die Ellenbogen haben, denn sie werden sich durchsetzen.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. Selig die Mächtigen, denn sie brauchen sich nicht um Gesetz und Recht zu kümmern.
Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden. Selig die Harten und Eisernen, denn die Probleme der anderen stören sie nicht.
Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen. Selig die Schlauen, denn sie kommen überall durch.
Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die sich nicht einmischen, denn wenn etwas schief geht, sind sie es nicht gewesen.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich.  Selig, die sich anpassen können, denn sie gehören immer zu den Gewinnern.

Die Umwertung der Werte, die Jesus in den Seligpreisungen vornimmt, ist radikal und unbequem. Aber er legt sie uns auch an anderen Stellen vor, z.B. wenn er sagt:

Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein... Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Mt 20,25ff)

Und er hat das Dienen durch ein eindrucksvolle Zeichen im Abendmahlssaal illustriert, indem er seinen Jüngern die Füße wusch - er, der Herr, den Jüngern.

Wenn man die Großen dieser Welt an diesem Maßstab misst, werden manche plötzlich ganz klein.

Diese Erkenntnis hatte ich als Jugendlicher zum ersten Mal bei einer Freizeit in Frankreich, in der Nähe von Limoges. Dort hatten wir die Gelegenheit, einen Maler zu besuchen, der ein Freund von Picasso war. Der alte Herr lebte auf einem Bauernhof und hatte sein Atelier in einer großen Scheune eingerichtet.

Das Gespräch ging zunächst um seine Konzeption von Kunst, und dann fragte ich ihn nach Picasso. Er reagierte äußerst impulsiv und erklärte, Picasso sei nicht sein Freund. Ich war erstaunt und sagte, seine Freundschaft mit dem weltberühmten Künstler sei doch allbekannt. Aber er wehrte heftig ab: Ich w a r sein Freund. Picasso ist ein elender Egoist, ein Ekel, besonders gegenüber Frauen. Mehr sagte er nicht, und ich wagte nicht, weiter zu fragen.

Damals geriet mein Wertesystem zum ersten Mal ins Wanken. Der Widerspruch zwischen Können und Charakter war mir noch nie in so krasser Weise bewusst geworden.

Von Salvador Dalí, dem weltberühmten Surrealisten, wird erzählt:

Bei einer Reise in die Vereinigten Staaten traf er mit der Sängerin Barbara Streisand zusammen. Sie vertraute ihm an: Ich bewundere Sie, Meister! Dali antwortete: O, ich auch, ich auch! Verwundert fragte Streisand: Sie bewundern mich? Dalí entgegnete: Natürlich nicht Sie, meine Liebe, sondern mich! (1)

Der hochintelligente und mit Ehrungen überhäufte Schriftsteller und Frühaufklärer Fontenelle, beliebt als brillanter Gesellschafter, soll die Personifikation des Egoismus gewesen sein. Von ihm wird folgende Geschichte erzählt:

Eines Tages lud Fontenelle einen Jugendfreund zum Essen ein. Beide bestellten Spargel, allerdings in verschiedener Zubereitung: Fontenelle mit Öl, der Freund mit Sauce. Kaum war das Essen bestellt, da erlitt der Freund einen Schlaganfall. Fontenelle schüttelte ihn, fühlte ihm den Puls, vergewisserte sich, dass er tot war, ließ den Leichnam wegschaffen und befahl dem Ober: Sagen Sie dem Koch, er solle den gesamten Spargel mit Öl anmachen! (2)

Wie tröstlich ist es dagegen, wenn berühmte Menschen auch charakterlich stark sind.

Rossini z.B. war vornehm und feinfühlig. Am Ende von Opernaufführungen, wenn das Publikum die berühmtesten Künstler enthusiastisch feierte, sah man ihn manchmal zu weniger bedeutenden Sängern gehen und ihnen zuflüstern: Singen Sie immer so wie heute Abend und lassen sie den Applaus ruhig den Stars! (3)

Imponierend finde ich auch den Dirigenten Kurt Masur. Er gehört zu den profiliertesten Dirigenten der Welt, aber er hat sich nicht nur auf die Musik beschränkt. Am 9. Oktober 1989 hatten die Montagsdemonstrationen in Leipzig ein bis dahin noch nicht erreichtes Ausmaß angenommen: 70.000 Demonstranten wagten es, sich der Staatsmacht entgegenzustellen. Aus Berlin kam die Order, den Aufstand mit allen Mitteln niederzuwerfen. In der Zeitung riefen Betriebskampfgruppen zum bewaffneten Kampf gegen die Demonstranten auf. Am Morgen dieses Tages stellten die Leipziger Krankenhäuser in aller Eile Blutkonserven und Leichensäcke bereit, weil man ein unkontrollierbares Blutvergießen befürchtete. In dieser Stunde der höchsten Gefahr initiierte Kurt Masur zusammen mit dem Kabarettisten Bernd-Lutz Lange und dem Theologen Peter Zimmermann ein Treffen mit Vertretern der Bezirksleitung. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Waffen nicht eingesetzt wurden.

Sehr aufschlussreich ist die Kehrtwende des Schauspielers Karl-Heinz Böhm vom Film zum humanitären Engagement.

Er war ja einer der bekanntesten Filmschauspieler der Nachkriegszeit. Seine Karriere begann 1948, den Durchbruch brachten 1956 die Sissi-Filme. Das Traumpaar Böhm und Romy Schneider begeisterte Millionen, der Dreiteiler hat bis heute an Weihnachten und Ostern einen festen Platz im Fernsehprogramm.

Doch bald wurde ihm die Identifikation mit dem Melodram Sissi zur Last. Er bemühte sich, das Image des sentimentalen Liebhabers abzustreifen und wandte sich Rollen mit sozialpolitischen Themen zu. So arbeitete er u.a. mit Rainer Werner Fassbinder zusammen, der ihn übrigens aufforderte, zu seinem Debut zu stehen.

Er war nun ein anerkannter Weltstar. Dennoch stellte Hollywood ihn immer weniger zufrieden. Wie er selbst im Interview sagte, begann eine zunehmend schmerzhafte Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Lebens.

Schließlich entschloss er sich, seine Bekanntheit zu nutzen, um eine humanitäre Aktion zu gründen. So entstand die Initiative "Menschen für Menschen", gemeint waren die Ärmsten der Armen in Äthiopien.

Er startete die Aktion mit einem genialen Schachzug: In der Sendung "Wetten, dass…" stellte er eine Wette besonderer Art auf. Er hielt den Zuschauern eine D-Mark entgegen und sagte:

Ich wette, dass nicht einmal ein Drittel von Ihnen, die Sie jetzt zuschauen, und das sind schätzungsweise 6 bis 7 Millionen, bereit ist, diese eine Mark für die Menschen in Äthiopien einzuzahlen. Falls doch, würde ich persönlich nach Äthiopien fahren, um mit einer humanitären Aktion zu beginnen. Ich hoffe, dass ich diese Wette verliere!

Es kamen auf Anhieb 1,2 Millionen zusammen, bis 2003 waren es insgesamt 300 Millionen.

Böhm beendete seine schauspielerische Karriere und widmete sich fortan ganz seiner Aktion.

Von den weiterhin eingehenden Spenden baute er über 240 Schulen und 80 Kliniken.

Bei allen Aktivitäten verfolgte er das Prinzip, möglichst viel Verantwortung in die Hände der örtlichen Mitarbeiter zu legen.

In einem Interview bekannte er:

Endlich habe ich den eigentlichen Sinn und Zweck meines Lebens gefunden. Bisher habe ich mein Leben für mich selbst gelebt, jetzt ist alles für andere.

Wenn man Filmaufnahmen von seiner Zeit in Äthiopien sieht, umringt und in den Arm genommen von jubelnden Kindern, Männern und Frauen, dann glaubt man es ihm.

Warum erzähle ich das alles?

Weil es mir imponiert, wenn Menschen des öffentlichen Lebens sich auch charakterlich als stark erweisen.

Der Schöpfergeist schenkt all die Gaben, die ein Mensch besitzen kann: Schönheit, Charme, Begabung zu Malerei, Philosophie, Musik und Schauspielkunst, Redegabe, Kochkunst und technisches Geschick.

Aber zum Vorbild wird ein Mensch nach dem Evangelium durch etwas anderes: durch den Dienst am Nächsten.

Ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft bei aller sonstigen Uneinigkeit über die Werte im Hinblick auf Politiker interessanterweise genau diesen Maßstab anlegt. Ihnen nimmt man es (zu Recht) übel, wenn sie in die eigene Tasche wirtschaften. Offenbar setzt man voraus, dass ein Politiker sich für das Allgemeinwohl einzusetzen hat.

Was bedeutet aber nun "Dienen" für einen Jugendlichen wie Dich?

Spontan fallen mir drei Beispiele ein:

  • Beim Essen nicht nur danach schauen, dass man selber genug abkriegt, sondern auf die anderen achten, indem man z.B. die Platten anreicht, wenn jemand einen ungünstigen Platz hat.
  • Bei Feten, Feiern, Partys nicht nur darauf schauen, dass man selber auf seine Kosten kommt, sondern diejenigen einbeziehen, die wenig Beachtung finden.
  • In der Schule über den Unterricht hinaus eine Aufgabe übernehmen, in der man etwas für die anderen tun kann, z.B. als Streitschlichter oder Klassensprecher. Es gibt übrigens zwei Arten von Klassensprechern: Diejenigen, die sich gerne wählen lassen, weil es ihnen schmeichelt, und diejenigen, welche Verantwortung übernehmen. Von den Ersteren ist meistens nicht viel zu erwarten.

Unser Thema war: Vorbilder. Sind wir nun davon abgekommen? Ich glaube nicht. Denn ein solches Verhalten macht den, der es realisiert, selbst zum Vorbild - ohne Glamour, aber dafür umso näher beim Menschen.

 

Herzliche Grüße

Dein Onkel Peter

 
Quellen

(1) Il Faro 5/6 2012, S. 13
(2) Il Faro 5/6 2013, S. 14
(3) Il Faro 9/10 2012, S. 14

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