Den Glauben bekennen - aber wie?
Lieber Bernd,
wenn man die Themenfolge der bisherigen Briefe betrachtet, so ergibt sich ein ziemlich unsystematisches Kunterbunt. So müsste dem heutigen Thema eigentlich ein anderes vorausgehen, nämlich das Thema Charismen. Denn mit dem "Zeugnis ablegen", oder wie Du es nennst "Jeder ein kleiner Missionar?" sind wir schon bei der Aufgabe. Der Aufgabe geht aber die Gabe voraus, sonst wären wir gar nicht imstande, sie zu erfüllen.
Aber wir haben ja hier kein dogmatisches Seminar, und so wird die Reihenfolge eben nicht von der theologischen Systematik, sondern von der Dynamik Deiner Fragen bestimmt.
Du schreibst, Du kämest Dir in der Rolle eines Missionars ziemlich komisch vor. Was weiß ich denn schon von der Theologie? Und die Bibel kenne ich, ehrlich gesagt, viel zu wenig, um argumentieren zu können.
Na ja, ich glaube, da legst Du einen falschen Maßstab an. Beim Glaubenszeugnis geht es nicht um hohe Theologie. Gut, Bibelkenntnis, da haben wir Katholiken durchaus Nachholbedarf, da sind uns manche evangelische und besonders freikirchliche Christen voraus.
Vielleicht ist Dir bekannt, dass zur Zeit der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetunion, also bis 1989, insbesondere die Baptisten verfolgt wurden. Genauer gesagt, die baptistische Gemeinschaft hatte sich gespalten, die Leitungsebene hatte sich mit dem atheistischen Staat arrangiert, die einfachen Gläubigen folgten ihnen aber nicht, sondern nahmen lieber Gefängnishaft und sibirische Arbeitslager in Kauf, als von ihrer Glaubenspraxis zu lassen. Es gab zahlreiche Familienväter, die ihre Kinder nicht heranwachsen sahen, weil sie jahrlang von der Familie getrennt waren. Und von diesen tapferen Menschen ist bekannt, dass die Heilige Schrift ihr Halt war. In den Straflagern spezialisierte sich ein jeder auf ein Buch des NT. Sie lernten es auswendig. So gab es den Häftling des Lukas-Evangeliums, des Epheserbriefes und der Apokalypse. Und es gelang der Lagerleitung nicht, sie zu brechen. Große Theologen waren sie nicht, aber Zeugen der Wahrheit.
Wir haben in Deutschland keine harte Christenverfolgung wie in der Sowjetunion, aber unsere Situation ist in einer Hinsicht. so paradox es klingt, noch schwieriger. Um das zu erklären, muss ich aus einem Vortrag zitieren, den Tatjana Goritschéwa im Jahre 1986 nach ihrer Ausweisung aus der Sowjetunion in mehreren Städten Deutschlands hielt. Ihr Buch "Von Gott zu reden ist gefährlich" schildert die Methoden der Verfolgung und ist überaus lesenswert. In der Diskussion nach dem Vortrag fragte ich sie: Wo ist es leichter, Christ zu sein, hier im Westen oder in der Sowjetunion?
Sie überlegte kurz, dann sagte sie: Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Natürlich ist die Rede- und Meinungsfreiheit im Westen ein ganz hohes Gut. Aber es gibt hier ein anderes Problem: Im Osten war der Gegner eindeutig, hier im Westen ist er nicht greifbar. Es ist eine geistige Luft, die man unwillkürlich einatmet, und die langsam aber sicher die Glaubenskraft zersetzt, wenn man die Gefahr nicht erkennt.
Diese Antwort hat mich sehr beeindruckt, sie schildert zielgenau unsere Situation. Hier wird man nicht verfolgt, hier wird man vom anonymen Zeitgeist beeinflusst und unmerklich verändert, wenn man nicht hellwach ist.
Und was ist die Konsequenz? Wenn man in unserer Gesellschaft als bewusster Christ leben will, muss man den Mut aufbringen, anders zu sein. Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist, was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist! (Röm 12,2).
Zunächst einmal: Was ist mit dieser Welt gemeint? Das klingt ja ziemlich weltverneinend. Ist es aber nicht. Was mit dieser Welt los ist, kannst Du z.B. an Deinem geliebten Fußball studieren. Welch ungeheure Rolle spielt da das Geld - Ablösesummen, die in die Millionen gehen, und Korruption bis in die höchste Ebene der FIFA hinein.
Und was bedeutet Gleicht euch nicht dieser Welt an! für einen Jugendlichen?
In einer Hinsicht tust Du es ja schon, indem Du tapfer sonntags zur Kirche gehst.
Es betrifft aber auch den Umgang mit den Medien, vom Fernsehen bis zu facebook. Wenn man sich ihrer verantwortungsvoll bedient, sind sie ein Segen, wenn man sich von ihnen abhängig macht, werden sie zum Fluch. Es betrifft das Thema Markenklamotten und überhaupt das Shopping. Und es betrifft Männlichkeitsrituale wie das (Koma-)Saufen.
Du wirst sagen: Das klingt ja alles ganz super, aber den Mut habe ich nicht. Kann sein, aber auch das ist eine Sache der Erfahrung und des Lernens. Die ersten Worte von Johannes Paul II. nach seiner Wahl zum Papst waren: Habt keine Angst! Diese Botschaft kam an, sie hat viele Jugendliche ermutigt.
Und vor allem: Man kann das nicht allein leisten, da braucht man den Beistand des Heiligen Geistes. Und den erbitten wir in der Firmung.
Vielleicht kann Dir auch folgender Hinweis helfen:
Man sollte sich Gleichgesinnte suchen. Wie steht denn Achmed zu den genannten Themen? Ich könnte mir vorstellen, dass er als praktizierender Muslim durchaus den Mut hat, nicht alles mitzumachen.
Man sollte die Augen öffnen für das Zeugnis anderer Christen, die in Not, im Zweifel, auf dem Krankenbett und sogar im Sterben Hoffnung ausstrahlen.
Man sollte mit solchen Menschen sprechen und sie nach den Gründen für ihre Hoffnung fragen
Das macht Mut, anders zu sein, und vielleicht wird jemand, von dem Du es gar nicht gedacht hättest, fragen: Sag mal, warum lebst Du eigentlich so? Das sind dann Sternstunden für das Glaubenszeugnis.
Da fällt mir eine kleine Geschichte ein. Sie stammt von einem heiligen Nonkonformisten, dem "zweiten Apostel Roms", Philipp Neri, ein irrer Typ, wie Du sagen würdest:
Er predigte mitten in Rom auf der Straße, führte witzige und schlagfertige Gespräche mit Straßenjungen und einfachen Leuten, aber auch mit Kaufleuten und Künstlern, war ein begehrter Beichtvater und Berater von Päpsten, und er gründete die Bruderschaft der Heiligsten Dreifaltigkeit, eine Gesellschaft von Laien zur Betreuung von bedürftigen Rompilgern, Kranken und Armen. (Die Namensgebung nach dem Heiligen Geist, kombiniert mit der Sorge für Arme und Kranke - kommt Dir das vielleicht irgendwie bekannt vor?)
Er betete mit den Menschen in der Volkssprache, im Gegensatz zu der offiziellen Liturgie, die ja lateinisch war, und lehnte die ihm mehrfach angebotene Kardinalswürde ab. Da er von so vielen Menschen verehrt wurde, kämpfte er einen sehr originellen Kampf gegen die Eitelkeit, um nicht hochmütig zu werden: Er verhielt sich bisweilen ganz bewusst in der Öffentlichkeit wie ein Clown. So erschien er mal mit halb-rasiertem Bart, mal mit Pelzmantel mitten im Sommer, mal mit rosa Filzpantoffeln. (1)
Von den zahlreichen Anekdoten, von denen Du einige auch im Internet finden kannst, will ich hier nur eine erzählen.
Auf einer Betteltour für seine Schützlinge - die Armen und Kranken - kam er in ein Wirtshaus und brachte sein Anliegen vor. Die Gäste fanden ihn lästig, einige verspotteten ihn. Als er nun gar nicht aufhören wollte, spuckte ihn einer an und schrie: Nerv uns nicht! Hau ab! Philipp Neri wischte sich den Speichel von der Stirn und sagte: Das war für mich, aber jetzt geben Sie mir bitte etwas für die Armen! Beschämt zog der Beleidiger seine Geldbörse heraus und spendete einen ansehnlichen Betrag.
Ein Glaubenszeugnis, das mich tief bewegt, habe ich in der Anlage für Dich beigefügt. Es stammt aus einem kleinen Gebetbuch, das vier litauische Mädchen zur Zeit der härtesten Christenverfolgung in der Sowjetunion im Jahr 1953 unter unmenschlichen Bedingungen aufgeschrieben haben. Verschleppt in ein sibirisches Konzentrationslager, fern ihrer Heimat und ihren Familien, erschöpft und vom Hunger gequält, hielt der Glaube an das, was nicht vergänglich ist, an die göttliche Dreifaltigkeit, an Maria und die Heiligen, sie aufrecht.
Da es unmöglich war, im Lager einen Gottesdienst zu feiern, stellten sie sich den Ablauf der hl. Messe vor Augen.
Um ihrer Freundin Franziska Anteil zu geben an ihrem Leben, damit sie "besser mit ihnen meditieren und den Herrn anbeten kann", schrieben sie ihre Gebete auf.
Dieses Gebetbuch, 60 Seiten vergilbten Papiers, im Format 10 x 8 cm, in schwarzes Satin gebunden und mit litauischen Ornamenten geschmückt, gelangte 1959 in den Westen und wurde in viele Sprachen übersetzt.
Acht Jahre vorher wurde im KZ Flossenbürg einer der bekanntesten Widerstandskämpfer von den Nazis hingerichtet, nur einen Monat vor dem Ende des 2. Weltkriegs: Dietrich Bonhoeffer. Du kennst bestimmt das Lied Von guten Mächten treu und still umgeben und weißt wahrscheinlich auch, dass der Text im Gefängnis entstanden ist. Die Geborgenheit, die darin zum Ausdruck kommt, fiel auch den Mitgefangenen auf, und einer von ihnen sagte zu ihm: Wie kannst Du nur so gefasst sein? Bonhoeffer schreibt dazu in seinem Tagebuch: Wenn sie wüssten, wie es in mir aussieht! Doch er war sich bewusst, dass er über eine Kraftquelle verfügte, welche die anderen entbehrten.
Nun wirst Du sagen: Das ist ja alles ganz interessant, aber das hilft mir nicht weiter. Diese außergewöhnlichen Zeugnisse entmutigen mich eher.
Deswegen möchte ich zum Schluss noch einen ganz praktischen Hinweis anfügen. Er betrifft die Medien.
Es gibt Sendungen am Fernsehen oder Berichte in den Printmedien, in denen der Glaube und das Christentum geschmäht oder schief dargestellt werden. Mir scheint, hier sind wir Christen gefragt. Ein Brief, eine mail an den Sender bzw. Herausgeber, in dem man in sachlicher Form seinen Unwillen ausdrückt, wäre in solchen Fällen ein sehr wirksames Glaubenszeugnis. Denn es ist bekannt, dass z.B. die Sendeanstalten solche Zuschriften hochrechnen, weil sich nur wenige Menschen die Mühe machen, sich zu äußern. Das stumpfe Hinnehmen von Geschmacklosigkeiten oder Entstellungen kann jedenfalls nicht unsere Aufgabe sein.
Herzliche Grüße
Dein Onkel Peter
Quelle
(1) Kathpedia - Philipp Neri