Liebe, Freundschaft, Sexualität

Lieber Bernd,

Ihr erspart mir aber auch nichts! Doch gut, ich will mich nicht drücken, zumal Du Deine Freundin schon gewarnt hast. Stockkonservativ - ja, das kann schon stimmen. Aber conservare heißt (Werte) bewahren, und in diesem Sinne habe ich nichts dagegen, so tituliert zu werden.

Nein, im Ernst. Ich bin mir im Klaren darüber, dass die Lehre der Kirche für Euch wie Chinesisch klingt. Selbst die (meisten) Jugendlichen auf den Weltjugendtagen jubeln zwar dem Papst zu, aber seine Meinung zu diesem Thema übersehen sie großzügig und ordnen sie unter "lieber Opa" ein.

Nun, wie dem auch sei, ich wäre schon zufrieden, wenn Ihr nach der Lektüre meiner Argumentation sagen würdet: o.k., der Standpunkt ist nicht verrückt, auch wenn er für uns nicht realisierbar ist. Immerhin haben mir im Unterricht einige Schüler das zugestanden.

Meine Argumentation geht von der Überlegung aus, dass der Mensch aus Leib und Seele besteht und dass der Leib die Seele ausdrückt. Mancher springt vor Freude in die Luft und mancher lässt die Nase hängen. Schon der Gang des Menschen verrät viel über seine Stimmung - beschwingt, energisch, stolpernd, unsicher.

Besonders die Augen sind ein Spiegel der Seele: aufgerissen spiegeln sie Angst und Schrecken, zugekniffen Hinterhältigkeit, ein offener Blick spricht für Ehrlichkeit und ein verschleierter signalisiert Verführung, ein tückischer Gemeinheit und ein liebevoller Barmherzigkeit.

Andererseits kann der Mensch auch leibliche Signale aussenden, um seine Umwelt zu täuschen. Es gibt eine freundliche Miene, die Hinterlist verbirgt, und es gibt eine Leichenbittermiene, die das Schielen auf das Erbe verbirgt.

Wenn das nun so ist, dass der Leib die Seele ausdrückt, dann gilt das auch für die Liebe. Wer den anderen nicht betrügen will, dessen leibliche Signale müssen dem Maß der vorhandenen Liebe entsprechen. Anders gesagt: Es muss eine Kongruenz bestehen zwischen der Liebe und den leiblichen Äußerungen der Liebe. Ich darf in meinen Liebesbezeugungen so weit gehen, wie die Liebe reicht.

Für die volle körperliche Vereinigung bedeutet das: Sie ist erst dann ehrlich, wenn die Liebe dieser Vollform entspricht. Davor ist sie ein Verstoß gegen das achte Gebot. Das heißt bekanntlich: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten! Kurz gesagt: Du sollst nicht lügen!

Man belügt den anderen aber nur dann nicht, wenn man bereit ist, die volle Verantwortung für ihn zu übernehmen, und das kann man nicht mit 16. Dazu gehören auch ganz reale soziale und wirtschaftliche Voraussetzungen, vor allem aber die Bereitschaft, sich zu binden. Solange man dazu nicht bereit ist, ist die Liebe nicht vollkommen. Warum würde man sich sonst ein Türchen offen halten?

Eine Schülerin sagte mir nach dieser Darlegung: Ihre Argumentation überzeugt mich, aber sagen Sie das mal meinem Freund! Und den will ich nicht verlieren!

Das meinte ich eben, als ich zu Beginn sagte: Das klingt ganz gut, ist aber in der Realität nicht umsetzbar. Nun gibt es ja die Initiative "Wahre Liebe wartet". Sie wurde 1992 in den USA gegründet und ist heute immerhin in über hundert Ländern verbreitet. Wenn Du die homepage aufrufst, findest Du persönliche Berichte, von denen Dir manche vielleicht wegen ihrer blumigen Sprache nicht gefallen, aber auch andere, die einem Respekt abnötigen. Die Leute, die das geschrieben haben, sind ganz normale Jugendliche. Es scheint sie also doch wohl zu geben.

Wie auch immer Ihr Euch entscheidet, in jedem Fall sollte die oberste Maxime Eures Handelns nicht der Lustgewinn sein, sondern die Verantwortung. Und das bedeutet konkret, dass ich mir vorher überlege, welche Konsequenzen mein Tun haben kann und ob ich bereit bin, zu diesen Konsequenzen zu stehen. Sonst, das dürfte unstrittig sein, hat mein Handeln mit Liebe nicht viel zu tun. Abtreibung auch nicht.

So, und nun setze ich noch eins drauf. Wie wäre es, wenn Du anfangen würdest, für Deine zukünftige Frau zu beten? Das ist nämlich so ein Fall, in dem das Gebet zum Heiligen Geist ausgesprochen sinnvoll ist. Denn für die Partnerwahl braucht man die Gabe der Unterscheidung der Geister. In Eurem Alter denkt man noch nicht ans Heiraten. Aber ich schätze, irgendwann willst Du doch eine Familie gründen. Und ohne Dir zu nahe zu treten, kannst Du Dir vorstellen, dass Deine jetzige Freundin einmal Deine Frau sein wird? Wenn sie es aber wird, ist es sicher kein Fehler, auch jetzt schon für sie zu beten.

An dieser Stelle erlaube ich mir, einen ganz praktischen Rat anzubringen, den ich von einer Schülerin übernommen habe. Es ging da um die Frage: Gibt es Kriterien, nach denen man entscheiden kann, ob man die Richtige / den Richtigen gefunden hat? Natürlich gibt es eine ganze Reihe solcher Kriterien, aber am eindrucksvollsten fand ich, was diese Schülerin mir sagte: Wenn Du das Gefühl hast, dass Du keine Maske tragen musst. Wenn Du das Gefühl hast, dass Du Dich nicht blamieren kannst, egal, was Du sagst oder tust. Kurz gesagt: Wenn Du Dich verstanden und geborgen fühlst.

Dieses Gefühl wünsche ich Dir!

 

Herzliche Grüße

Dein Onkel Peter

 

P.S.: Neulich hörte ich im Autoradio den Song "How love could be". Ich weiß nicht mehr, wer die Sängerin war, Du kennst Dich da bestimmt besser aus. Jedenfalls handelte er von der Liebe zu einer Frau, die mit einer Enttäuschung endete.

Die Zahl der Scheidungen hat in den letzten Jahren in erschreckendem Maße zugenommen. Die Gründe sind vielfältig. Aber ein Grund scheint es mir wert, hervorgehoben zu werden:

Die Paare erwarten zu viel voneinander. Wenn ich erwarte, dass der andere mir das vollkommene Glück garantiert, liege ich falsch. Kein Mensch kann das. Wahre Liebe ist bereit, die Grenzen des anderen zu akzeptieren. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist eine selbstkritische Haltung, welche auch die eigenen Fehler sieht, die man dem anderen zumutet.

Mir fällt da gerade noch ein Gesichtspunkt ein. Dazu muss ich zuerst eine kleine Geschichte erzählen. Sie ist wirklich so geschehen, und ihr Held ist der junge Don Bosco. Du hast bestimmt schon von diesem begnadeten Erzieher gehört, der die Jungenstadt von Turin gegründet hat. Ich zitiere aus dem Buch von Gisbert Kranz, Sie lebten das Christentum, übrigens die beste Beschreibung von Heiligen, die ich kenne, leider nur noch antiquarisch zu bekommen. Also da heißt es:

"Man hatte einen Kletterbaum aufgestellt. Wertvolle Sachen hingen oben an der Spitze. Immer wieder versuchten die Burschen hinaufzuklettern. Aber es war zu schwierig. Bis zu einem Drittel der Höhe ging es den meisten gut, einige schafften die Hälfte.

Giovanni schaute zuerst lange zu und erkannte, dass die angewandte Technik falsch war: Die Kletterer gönnten sich keine Zeit. Ihre Hast brachte sie um den Erfolg. Deshalb wartete Giovanni, bis er sich ganz ruhig fühlte. Dann startete er mit langsamer Bedächtigkeit. Ab und zu umklammerte er mit den Beinen die Stange und verharrte ein wenig. So konnten Hände und Arme ausruhen. Die vielen Zuschauer lachten und lärmten, weil sie bei jedem Anhalten glaubten, jetzt beginne das Abrutschen. Als Giovanni aber den Höhenrekord brach, wurden alle still. Je näher der Junge der Spitze kam, desto bedenklicher schwankte die Stange. Zur Geschicklichkeit gehörte nun schon ein besonderer Mut, um bis zur Spitze durchzuhalten. Endlich war es geschafft.

Der Sieger bewies auch jetzt noch seine Besonnenheit: Er nahm sich nur das Wertvollste: einen Beutel mit zwanzig Lire, die größte Wurst und ein Taschentuch. Dann ließ er sich langsam herunter und verschwand unauffällig."

Ist das nicht auch ein guter Rat für die Partnerwahl? Umsicht, Bedächtigkeit, ein wenig verharren, sich nicht um das Gejohle kümmern und dann den Hauptgewinn wählen.

Das bekannteste Wort von Don Bosco ist übrigens:

Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen.

Die Spatzen, das sind die Tratscher. Komisch, dass man das nur den Frauen unterstellt ("Tratschtanten"), ich kenne mindestens genau so viele Tratsch-Onkel.

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