Muss es unbedingt die Beichte sein?

Lieber Bernd,

Du fragst nach meiner Meinung zum Thema Disziplinierung der Gläubigen durch die Beichte.

Entschuldige, wenn ich mir die Freiheit nehme, auch zu den anderen Argumenten Deines Briefes Stellung zu nehmen.

Zunächst aber finde ich, dass Deine Katechetin ausgezeichnet reagiert und argumentiert hat, dem habe ich nicht viel hinzuzufügen.

Als Knotenpunkte des Lebens hat sie die Firmung und Eheschließung genannt. Man könnte noch hinzufügen: Anlässe - oder besser: Chancen! - zur Beichte sind:

Exerzitien - Du bist doch auf einer katholischen Schule, da werden in der 11. oder 12. Klasse bestimmt Exerzitien angeboten, weitere Chancen bieten sich bei Weltjugendtagen, Katholikentagen, bei schwerer Krankheit…

Aber nun zu Deinem ersten Argument: Du wirst wahrscheinlich auch sagen: Es ist sinnvoll, vor der Firmung zur Beichte zu gehen.

Es tut mir wirklich Leid, dass Du mit Deiner Einschätzung Recht hast. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Ohne Beichte ist die Firmung nicht sinnvoll.

Du schreibst weiter: Reicht nicht auch eine Bußandacht?… Ich habe schließlich keinen umgebracht… die kleinen Rangeleien, das ist doch einfach menschlich.

Es wird Dich überraschen, aber ich denke genauso. Oder besser gesagt: Der alte Mensch in mir denkt so. Es ist ja seltsam, dass der Mensch zwei Seelen in seiner Brust hat. Die Hl. Schrift nennt sie den alten und den neuen Menschen. (Übrigens auch eine Hilfe, um das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit etwas besser zu verstehen: Wenn schon der Mensch zu sich selber "Du" sagen kann, also sozusagen zwei Personen in sich vereinigt, um wie viel mehr gilt das für Gott!)

Also der alte Mensch in mir sagt: "Du bist doch nun wirklich kein Schuft, es besteht kein Grund zur Beichte. Die Kirche sagt ja selber, dass die Beichte nur für Todsünden gedacht ist."

Aber dann sagt der neue Mensch, also der Mensch, der sich an Christus orientiert:

"Halt stopp, überleg mal: Jesus war den Kapitalsündern gegenüber sehr nachsichtig, wenn sie Reue zeigten:

  • dem Mörder, der zu seiner Rechten am Kreuz hing und zu dem er gesagt hat: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein,
  • der stadtbekannten Dirne, die seine Füße mit ihren Tränen benetzte und mit ihren aufgelösten Haaren trocknete,
  • und dem Zöllner Zachäus, der im Dienst der römischen Besatzungsmacht seine Landsleute schamlos ausgenommen hatte.

Warum ging er aber mit den Theologieprofessoren und Religionslehrern - im NT heißen sie Schriftgelehrte und Pharisäer - so heftig ins Gericht?

Mord, Hurerei und Ausbeutung sind doch nun wahrlich keine Kavaliersdelikte Und sind Kapitalsünder nicht schlimmer als Theologieprofessoren und Religionslehrer?

Ganz offensichtlich nimmt Jesus hier eine Umwertung der Werte vor. In seinen Augen scheint es tatsächlich etwas zu geben, was schlimmer ist als die genannten Verbrechen, und das ist die Selbstgefälligkeit. Die Bibel nennt es Hochmut. Und diese Selbstgefälligkeit konstatierte er bei den Pharisäern und Schriftgelehrten.

Nun muss ich meinen Berufsstand allerdings ein bisschen in Schutz nehmen, damit kein Missverständnis aufkommt: Keineswegs alle Pharisäer und Schriftgelehrten waren so. Jesus hatte Freunde unter ihnen, z.B. Nikodemus. Außerdem beachteten sie das mosaische Gesetz mit einer Opferbereitschaft, von der wir nur träumen können. Und ihr Bemühen war es, die Gesetze, die zu einer Last geworden waren, durch Auslegungen erträglich zu machen.

Es ist also völlig falsch, von den Pharisäern zu sprechen. Was Jesus aufs schärfste angriff, war die Selbstgefälligkeit mancher Pharisäer.

Und das ist genau unsere Haltung: Sind wir nicht - bis auf kleine Rangeleien, versteht sich - ganz in Ordnung, jedenfalls um ein Vielfaches besser als die genannten Verbrecher? Das ist die Überzeugung des Normalbürgers - wir haben eine weiße Weste, deshalb müssen wir ja nicht ins Gefängnis.

In diesem Zusammenhang fällt mir eine kleine Geschichte ein.

Ich hatte den Seelsorger eines Untersuchungsgefängnisses in den Religionsunterricht eingeladen. Er sprach über die schweren Jungs und setzte überraschende Akzente; z.B. sagte er, die meisten Mörder seien ihm lieber als die wegen Unterschlagung Inhaftierten. Er habe nicht wenige erlebt, die ihre Tat aufrichtig bereuten und ihm sagten: "Ich kann es nicht begreifen, warum ich das getan habe. Aber ich bejahe meine Strafe, sie ist berechtigt."

Und von einem notorischen Dieb berichtete er Folgendes:

Er, der Gefängnisseelsorger, leitete auch das Kuratorium einer katholischen Jugendhilfeeinrichtung. Die zum Gebäudekomplex gehörende Kapelle wurde damals gerade renoviert. Der Gefängnisseelsorger hatte dem Dieb davon erzählt und mit den Worten geschlossen: Der Umbau ist nun fast abgeschlossen, es fehlt mir nur noch eine Muttergottesstatue. Darauf sagte der Meisterdieb: Ich weiß, ich bin ein schlechtes Luder. Aber manchmal mache ich auch was Gutes. Nächste Woche werde ich entlassen. Vom ersten Einbruch kriegst Du was ab für Deine Madonna!

Versteh mich bitte nicht falsch! Ich will Verbrechen, die mit Gefängnis bestraft werden, nicht kleinreden! Worum es hier geht, kommt in Jesu Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner zum Ausdruck: Der Zöllner weiß um seine Sündhaftigkeit, der Pharisäer nicht. Der Zöllner bereut, der Pharisäer nicht. Der Zöllner betet: Herr, sei mir armem Sünder gnädig! Der Pharisäer zählt seine Leistungen auf. Deshalb ist der Zöllner nah am Herzen Gottes, der Pharisäer aber ist weit davon entfernt. Und deshalb sind wir dem Pharisäer näher als dem Zöllner, wenn wir sagen: Ich bin doch eigentlich ganz o.k. Das sind wir eben nicht. Es ist richtig: Du und ich, wir haben vielleicht keine Todsünden auf uns geladen, aber wir leiden an einer ganz anderen Schwäche, und die ist fast noch schlimmer. Es ist der Hochmut.

Machen wir die Probe aufs Exempel.

Ist es wirklich nicht schlimm,

  • wenn wir wenig oder gar nicht dankbar sind für das Gute, das Gott uns schenkt? Das verletzt Gott. Oder wärest Du nicht verletzt, wenn Du Dich um jemanden aufopferungsvoll bemühst, und der tut so, als wäre das selbstverständlich und bedankt sich mit keinem Wort?
  • wenn wir, ohne uns dessen bewusst zu sein, auf andere herabschauen, weil sie etwas ungeschickt sind oder eine langsame Auffassungsgabe haben? Falls wir meinen sollten, dass wir ja gar nicht auf andere herabschauen, brauchen wir uns nur zu fragen: Lästere ich nie über Abwesende?
  • wenn wir in unserem Herzen Neidgefühle hegen gegenüber jemandem, der cleverer, hübscher, akzeptierter ist als wir? Der Hochmut vergleicht nämlich ständig. Wir haben uns doch alle perfekt an die Hühnerhackordnung der Gesellschaft angepasst, und die geht nach dem Motto: Wer steht über mir und wer steht unter mir?
  • wenn wir Kritik nicht vertragen können? Und gleichzeitig zu feige sind, dort Kritik zu üben, wo sie berechtigt und notwendig ist?

Das sind nur einige Beispiele. Wenn man da tiefer gräbt, kommt schließlich ein Bild heraus, das eine Beichte an den Knotenpunkten des Lebens durchaus sinnvoll erscheinen lässt. Aufzüge sollten regelmäßig gewartet werden, sonst rauscht man eines Tages wegen Kabelriss in den Keller. Mit der Wartung der Seele ist es nicht anders.

Dann schreibst Du: Ich kann mich nicht entschließen, einem wildfremden Menschen, oder noch schlimmer, jemandem mein Innerstes preiszugeben, dem ich dann ständig begegne wie unserem Pfarrer.

Mit dem wildfremden Menschen, das kann ich nicht nachvollziehen. Auf Weltjugendtagen wird viel gebeichtet, und die Anonymität ist doch gerade ein Vorteil. Du sagst ja selber, dass Du dem Beichtvater nicht ständig begegnen möchtest.

Aber auch das Problem mit dem bekannten Beichtvater ist leicht zu lösen. Du hast doch in Köln alle Freiheit der Welt, Dir einen Beichtvater auszusuchen. Und wenn Du einen findest, dem Du vertraust, dann kannst Du ihm auch wieder begegnen.

Die relative Seltenheit der Beichte hat übrigens auch einen Vorteil: Statt einer Kurzbeichte im Beichtstuhl kann man ein Beichtgespräch in einem Beichtzimmer vereinbaren. Das ermöglicht es, die Gründe und Umstände zu erläutern, die einen dazu gebracht haben, Schuld auf sich zu laden.

Und nun zum Argument Deiner Freundin: Sie meint, da hätte sich diese Institution aber ein ganz schönes Mittel der Disziplinierung geschaffen.

Solchen Machtmissbrauch hat es sicher gegeben, als die Kirche noch öffentliche Macht hatte, aber ich glaube, dass das heute nicht mehr unser größtes Problem ist. In der gegenwärtigen Kirche herrscht doch eher das Prinzip: Auf der Kanzel ein Löwe, im Beichtstuhl ein Lamm. Abgesehen davon, dass Kanzeln heute out sind, scheint mir auch das Gebrüll der Löwen nicht mehr besonders furchterregend zu sein.

Am Schluss noch eine kleine Geschichte, Du hast mir ja beim letzten Telefonat gesagt, die fändest Du immer ganz auflockernd. Sie betrifft noch einmal das Thema: Wir sind doch alle so in Ordnung.

Ein Pianist von Weltklasse hat einmal gesagt:
Wenn ich einen Tag nicht übe, merke ich es selbst.
Wenn ich eine Woche nicht übe, merkt es mein Freund.
Wenn ich einen Monat nicht übe, merkt es mein Publikum.

Was bedeutet das?

Dieser Pianist hält sich selbst keineswegs für vollkommen. Er legt allerdings einen sehr anspruchsvollen Maßstab an, denn er bemerkt bereits nach einem Tag eine Minderung seine Könnens, die selbst sein Freund nicht feststellen kann, der doch, das wollen wir einmal voraussetzen, etwas von Musik versteht. Unser Pianist hat also ein ganz feines Sensorium.

Auf den religiösen Bereich übertragen, heißt das: Wenn ich meine, ich wäre ganz in Ordnung, dann liegt es daran, dass mein Sensorium stumpf ist. Oder etwas überspitzt formuliert:

Je unvollkommener ich bin, umso mehr meine ich, dass ich ganz in Ordnung bin.

Es gibt da noch ein anderes Problem, das zeigt, wie "vollkommen" wir eigentlich sind.

Eine Folge der Globalisierung ist ja die Informationsfülle, über die wir heute verfügen. Wir können uns nicht mehr damit entschuldigen, das Leid von Menschen nicht zu kennen, die Tausende von Kilometern von uns entfernt sind. Der arme Lazarus liegt direkt vor unserer Tür.

Dürfen wir eigentlich den hohen Lebensstandard unseres Landes genießen auf Kosten der Armen? Wir kaufen ein preiswertes Kleidungsstück, aber was verdient die Näherin in Bangladesh daran? Und warum verkaufen in Indien oder in Moldawien Familienväter ihre Niere, um die Familie ernähren zu können?

Sicherlich: Wir sind ohnmächtig im Angesicht des Elends in der Welt. Aber wir haben vielleicht doch mehr Möglichkeiten, unser Verhalten zu ändern, als wir im ersten Moment denken.

Kardinal Lorscheider, dieser großartige brasilianische Bischof, der sich in imponierender Weise für die Armen eingesetzt hat, hat einmal gesagt:

Mich stören nicht eure Feste, mich stört euer Alltag.

Was heißt das? Es heißt, dass wir nicht bedrückt und niedergeschlagen durch den Tag gehen sollen, weil es so viel Elend in der Welt gibt. Wir dürfen uns erholen, wir dürfen reisen, wir dürfen Schönes erleben. Aber wir müssen unseren Lebensstil im Alltag prüfen:

Wie gehen wir z.B. mit den Lebensmitteln um? Lassen wir im Restaurant die Hälfte auf dem Teller liegen? Landen unsere Pausenbrote im Abfalleimer? Müssen wir immer wieder Lebensmittel wegwerfen, weil wir nicht aufgepasst haben?

Oder die Sachwerte: Behandeln wir sie sorgfältig, oder stehen wir auf dem Standpunkt: Wenn´s kaputt geht, wird eben was Neues gekauft?

Dass dieses Problem nicht neu ist, zeigt eine Aussage Basilius des Großen - er war Bischof im 4. Jahrhundert und hat gesagt: Das Brot, das ihr verderben lasst, ist das Brot der Hungernden.

Ich fürchte, wir müssen uns selbst gegenüber erheblich kritischer werden.

 

Herzliche Grüße

Dein Onkel Peter

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